Mental Load – ein Schlagwort, dass auch ich gerne aufgreifen möchte. Denn es ist der Begriff, der mein 2020 am meisten beeinflusst hat.
Anfang des Jahres war ich ausgebrannt. Die Rückkehr in einen Job, der mir nicht mehr wirklich Spaß machte und bei dem ich trotzdem wieder Vollgas geben wollte, die zunehmende Autonomiephase der Zwillinge, die mich des Öfteren an den Rand meiner Geduld brachte und die härteren Anforderungen der weiterführenden Schule bei der Großen, für die nie genug Zeit war. Nebenbei noch das bisschen Haushalt. Vorsorgetermine, Elternabende, Abgabetermine und das Wissen, dass ich mehr Sport treiben müsste, weil ich sonst wieder Probleme mit dem Rücken bekommen werden würde. Post vom Energieversorger, der Elterngeldstelle und Rechnungen, Rechnungen, Rechnungen – nur leider keine Zeit, sich in Ruhe darum zu kümmern. Ich wollte und brauchte eine Auszeit. Ich wünschte mir sosehr, dass wir als Familie uns einfach mal ins Schneckenhaus zurückziehen und die Welt, Welt sein lassen dürfen. Entschleunigt werden, von den ganzen Anforderungen des Alltages.
„Bedenke worum du bittest, man könnte es dir gewähren.“ Am 16.03. kam der Lockdown und zwei wunderbare Wochen, die ich mit den Kindern sehr genossen hatte. Und dann? Dann wurde es schlimm. Morgens aufstehen, Kinder anziehen, Frühstück machen, Kinder bespaßen, Homeschooling betreuen. Um 11:30 Uhr Mittagessen und der erste Druck: Die Kinder müssen um 12:30 Uhr schlafen, da habe ich die erste Telefonkonferenz. Zum Glück zeigten die Kollegen Verständnis und verlegten mir zu Liebe die Mittagspause. Doch was war mit der Großen, die Aufgaben zu erledigen hatte, die sie erklärt gebraucht hätte und für die neben der Bespaßung der Kleinen keine Zeit blieb? Wenn ich Glück hatte, schliefen die Kleinen zwei Stunden und ich konnte mein Arbeitspensum erledigen, wenn ich Pech hatte, noch nicht mal das. Mein Stundenkonto rutschte ins Minus, immer weiter und weiter und ich bekam Angst. Wie sollte ich die Stunden nur wieder nachholen? Es kam die Kurzarbeit, erste Erleichterung und dann die Erkenntnis jetzt wird das Geld knapp. Zumindest hatte ich ein kleines bisschen Zeit für die Große. Zum Glück war das Wetter schön und unser Garten groß.
Trotzdem war ich erschöpft wie lange nicht mehr. Doch warum? Nach außen war doch alles super. Das Homeoffice in Kurzarbeit ermöglichte es mir, die Kinder zu betreuen – ein Traum, den viele Mütter vor 30 Jahren nicht gewagt haben zu träumen. Die ersten Stimmen wurden laut: Stell dich nicht so an, du weißt gar nicht, wie gut du es hast, so anstrengend kann das doch gar nicht sein… – liebe Leidensgenossinnen und -genossen, ihr werdet die Liste sicherlich weiterführen können. Ich hätte kotzen können, ich habe geheult. Warum sahen die Leute denn nicht, wie anstrengend es war?
Mittlerweile habe ich die Antwort. Weil man das, was anstrengend war und immer noch ist, nun mal nicht sieht. Mental Load gab es schon immer, in den letzten Jahren hat er aber zugenommen. Es sind die Anforderungen und der Druck, der von der Gesellschaft, den Schulen, Kitas, Ämtern, Behörden, Eltern, Freunden, Kollegen, etc. gestellt werden, die miteinander konkurrieren und denen man nicht gerecht werden kann. Die Mütter von heute dürfen arbeiten gehen und sollen dankbar sein? Ja dürfen wir und damit wird der Mental Load gleich verdoppelt. Es ist nicht anstrengend einkaufen zu gehen, es ist aber anstrengend sich zu überlegen, was man die Woche essen will. Es ist anstrengend den Einkaufszettel zu schreiben, weil man vorher noch prüfen muss, was zu Hause an Vorräten da ist und was man noch braucht. Es ist auch nicht anstrengend einen Kuchen zu backen, die zeitliche Koordination, wann die beste Zeit ist, jedoch schon. Es ist auch nicht anstrengend ins Büro zu fahren und erstmal in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Es ist aber anstrengende, wenn man nur noch zehn Minuten braucht, um eine Präsentation fertig zu machen, dann aber zu spät in der Kita ist, um die Kinder abzuholen. Die Liste lässt sich unendlich weiterführen und wer unter Mental Load leidet, der findet sich bestimmt gerade wieder. Wer es als neumodischen Humbug abtut, herzlichen Glückwunsch, denn derjenige hat noch nie darunter gelitten. Ich beneide ihn ein wenig.
Für mich war es wichtig, meinen Mental Load für mein Umfeld sichtbar zu machen. Und wie habe ich das gemacht? Alles was ich an Mental Load in meinem Kopf hatte, schrieb ich als Aufgaben auf Listen. Dann sortierte ich die Aufgaben in ihren Erledigungsturnus: täglich, Kinder in der Betreuung, Kinder zu Hause, wöchentlich, monatlich, bei Bedarf. Mein Mann durfte ergänzen – viel war es nicht, denn das meiste, auch seine Aufgaben hatte ich alle im Kopf. Selbst den Erledigungsturnus konnte ich auswendig. Ich schrieb die Aufgaben auf unterschiedlich farbige Magnete. Seitdem zieren über 100 Magnete unseren Kühlschrank. Als die ersten Menschen diese Farbenpracht sahen, kam es zu folgendem Dialog:
„Oh das sind aber ganz schön viele Magnete“
„Ja, ich weiß. Früher hatte ich das alles im Kopf und habe die Aufgaben im Kopf sortiert, zugeteilt, an die Erledigung erinnert und die Erledigung überprüft“
„Echt? Da wird man doch verrückt?“
Ich fand das war ein wirklich sehr passender Kommentar, dem nichts mehr hinzuzufügen war. Es war das erste Mal, dass jemand nicht gesagt hat: das ist doch gar nicht viel, andere machen das mit Links.
Dass ich so schnell aufzeigen konnte, dass die Haushaltsorganisation einen „verrückt“ machen kann, hätte ich nicht gedacht. Denn tatsächlich war es ja nur der Haushalt und die Kindergrundversorgung. Es handelte sich noch nicht um die Dinge, die mich nachts nicht schlafen ließen. Tatsächlich hatte ich noch eine Liste geschrieben, die sich nicht so einfach als Aufgaben in einem Organisationstool erfassen ließen. Trotzdem hat das Sichtbarmachen dazu geführt, dass ich mir von niemanden mehr anhören musste: „Das bisschen Haushalt macht sich von alleine“
Einen Großteil meines Mental Load hatte ich damit abgegeben. Ich weiß jetzt, ich muss nicht mehr an alles alleine denken, denn es hängt alles zum Nachlesen in der Küche. Aufgrund der Magnete ist das System auch flexibel. Es gibt keine eindeutige Zuordnung zu Personen oder Tagen, aber es ist für alle immer zu erkennen, was erledigt werden muss. Es ist seitdem nicht mehr mein Business und aus meinem Kopf verschwunden. Wenn früher ein Tag ganz chaotisch verlief, war es an mir, zu überlegen, welche Aufgaben, an wen und an welchen Tag verschoben werden. Es war an mir die Änderungen allen mitzuteilen. Und zwar unmissverständlich! Meine Erfahrung hat übrigens gezeigt, wenn schon alles chaotisch läuft, läuft auch die Kommunikation chaotisch und daher ganz sicher nicht unmissverständlich.
Dieses Haushaltsboard hat dazu geführt, dass die Aufgaben rund um Haushalt und Kindergrundversorgung mittlerweile einvernehmlich zwischen meinem Mann und mir aufgeteilt sind. Es gibt keine feste Regele 50:50 oder 60:40, sondern es macht jeder das was er zu leisten vermag. Und wenn wir beide an unsere Grenzen stoßen und nicht mehr können? Nun, dann sieht es bei uns auch mal aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Dann ist das halt so!